Ich äussere mich selten zu politischen Themen, heute nach der Bombardierung der iranischen Uran-Anreicherungsanlagen Fordo & Nathans geht es leider nicht mehr anders!
Der Westen und die Mühen des Rechts – oder Warum Regeln allein keine Ordnung schaffen können
Es ist eine stille Erosion, die wir beobachten. Keine Explosion, kein Umsturz. Kein Putsch, kein großer Krieg vor unserer Tür. Und doch: etwas zerfällt. Nicht in Trümmern, sondern in Bedeutungsverlust. Es ist das Vertrauen in die Wirksamkeit einer Ordnung, die auf Regeln statt auf Macht, auf Werte statt auf Waffen, auf Konsens statt auf Kalkül gebaut wurde.
Der Westen – allen voran Europa und in Teilen die USA – hat in den letzten 3 Jahrzehnten eine Haltung kultiviert, die auf der Idee beruht: Wenn wir uns an Spielregeln halten, wird die Welt sie mit uns teilen. Doch diese Idee, so ehrenwert sie auch war, war gleichzeitig und ist auch heute noch – leider nur eines: naiv.
Nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie blind war für das, was sich außerhalb der eigenen Spielzone entwickelte.
Der Iran ist das Paradebeispiel für diese Asymmetrie: Ein Land, das zwar am Tisch mitverhandelt, doch ausgehandelte Verträge niemals ratifiziert. Ein Land, dessen Führer zwar internationale Regeln aus dem Stegreif zitieren kann, wenn sie ihm nützen – der sie aber ignoriert, wenn sie die eigene Politik stören. Es ist ein Land, das sich auf das Völkerrecht beruft, doch die eigenen Interpretationen über die allgemeine Gültigkeit stellt. Ein Land, dessen Führer Uran anreichern lässt, obwohl es das gem. der ratifizierten Vereinbarungen gar nicht darf. Ein Land, das den Transitverkehr auf einer internationalen See-Strasse einschränken will, obwohl es dazu qua internationalem Recht überhaupt nicht berechtigt ist.
Und der Westen?
Der reagiert nicht, sondern mahnt zur “Besonnenheit“. Nicht weil er nicht könnte, sondern weil er sich längst (über Jahrzehnte) davon entwöhnt hat, sich zu verteidigen. Weil er zu oft geglaubt hatte, Diplomatie sei ein Ersatz für konsequentes, politisch verantwortungsvolles, Handeln.
Europa (der Westen allgemein sogar) ist über Jahrzehnte müde geworden. Es ist müde geworden vom Streiten, müde geworden vom Ringen, müde geworden vom Führen.
Und Deutschland? Das hatte sich dumm-dreisterweise auf eine starke EU verlassen, die es aber leider selbst mit ausgemergelt hat. Deutschland hat die Verantwortung für seine Sicherheits- und Außenpolitik wie Ballast abgegeben – an Brüssel oder auch an Washington, nach dem „guten“ Vorbild der Geschichte.
Doch Geschichte ist kein Vertragspartner. Geschichte verlangt eine eindeutige Haltung. Und Handlungsfähigkeit. Denn wer seine Souveränität erstmal auslagert, der hat schon lange gar keine mehr. Wer sich in Kompromissen verliert, verliert alsbald auch die eigene Linie. Wer nur noch intern diskutiert, merkt gar nicht mehr, wenn er von außen hinterrücks überrollt wird.
Warum ist das so? Eine nüchterne Analyse ergibt vier zentrale Schwächen:
1. Politische Kurzfristigkeit versus geopolitische Langfristigkeit:
Der Westen, die USA eingeschlossen, denkt nur noch in Wahlzyklen, in Medienlogik und PublicRelations. Doch Staaten wie Iran, Russland oder China denken aufgrund ihrer politischen Systeme – sie alle sind schliesslich keine Demokratien – eben nicht so. Sie denken in Generationen, sie denken in Machtdynamik und in ausgeprägter strategischer Geduld (siehe – unter anderem – 9/11). Wer aber in Vier- oder Fünf- Jahres-Zyklen denkt, der verliert gegen genau diese Systeme, nach maxikmal drei Wahlperioden, die eher in Jahrzehnten und längeren Zeiträumen planen.
2. Multilaterale Selbstfesselung:
Die EU verstrickt sich viel zu oft in der Suche nach weltweitem Konsens – mit dem Ergebnis, dass nicht ein Mitgliedstaat wirklich geführt wird. Legitimität ersetzt keine Wirkung. Internationale Ordnung braucht tatsächlich fixe Instrumente und auch solche, diese Ordnung strikt durchzusetzen in der Lage sind. In Europa: Keine Spur!
3. Vertrauen in Institutionen ersetzt noch lange kein strategisches Handeln:
Deutschland hat seine Sicherheit und seine Außenpolitik abgegeben – an Brüssel, an Washington, an den Glauben an eben dieses System. Doch wenn solche Institutionen einfach nicht und nichts tragen, dann bleibt nichts außer Verwundbarkeit.
4. Kulturelle Selbsterschöpfung:
Der Westen leidet unter Über-Reflektion ohne Wirksamkeit. Er beschäftigt sich mit seiner inneren Korrektheit, während autoritäre Systeme pure Macht akkumulieren. Doch wer nur noch immer mit sich selbst debattiert, der merkt doch gar nicht mehr, wie er von außen überholt wird.
Der Westen braucht sicher kein neues Regelwerk. Er braucht allerdings dringend Haltung und Rückgrat. Kein neues Leitbild, aber ein neues Selbstbewusstsein für das, was er verteidigen will – und was keinesfalls verhandelbar sein darf.
Nicht etwa, um die Welt zu belehren, sondern, um nicht aus ihr herauszufallen.
Regeln, so gut sie auch sein mögen, schaffen nirgendwo irgendeine Ordnung. Nur Menschen tun das. Mit Mut, mit Klarheit und manchmal sogar mit dem unbequemen Willen, Grenzen zu setzen. Nicht aus Machtgier, sondern aus der Eigenverantwortung für das eigene Land.
Und vielleicht ist genau das die nächste große Aufgabe Europas:
Nicht zu gefallen, sondern mit Rückgrat in der Welt zu bestehen.
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